07.11.2014

Interview im "Isshoni Klecks"

Passender hätte der Termin kaum sein können – am 5. Mai, dem Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, treffe ich mich mit Peter Eichstädt zu einem Interview für ISSHONI.

Peter Eichstädt ist Abgeordneter des schleswig-holsteinischen Landtages und in dieser Funktion unter anderem Vorsitzender des Sozialausschusses.

Über sein sozialpolitisches Engagement, die Leidenschaft zur Fotografie und darüber, was ein Lautsprecher mit Inklusion zu tun hat, berichtet er in diesem Interview.

Herr Eichstädt, erzählen Sie uns etwas über Ihre berufliche Tätigkeit vor Ihrem Landtagsmandat? Wie kamen Sie zu sozialen Themen?

„Der Zivildienst in einem Kinderheim hat mich motiviert, die Fachhochschulreife zu machen und ein Sozialpädagogik-Studium aufzunehmen. Ich habe dann 21 Jahre bei der AWO gearbeitet. Zuerst im Bereich der ambulanten und stationären Hilfen für Kinder und Jugendliche, später dann als Geschäftsführer der AWO Südholstein.

Zudem habe ich mich bis zu Studentenzeiten in der christlichen Jugendarbeit beim CVJM engagiert.

Ursprünglich bin ich gelernter Industrie- und Werbefotograf und auch heute nehme ich die Kamera gerne mal in die Hand.“

Und wie war Ihr Weg vom AWO-Geschäftsführer zum Politiker?

 „Ach, das ging so ineinander über. Vom politischen Ehrenamt, über die Gemeindevertretung in Rondeshagen, die Tätigkeit als Kreistagsabgeordneter im Herzogtum Lauenburg, den SPD-Fraktionsvorsitz, die Aufgabe des 1. Kreisrates sowie den Vorsitz im Hauptausschuss.

Irgendwann nahmen all diese Ämter soviel Raum ein, dass mit Eintritt des Landtagsmandates die Politik den Beruf ersetzte. Das Landtagsmandat habe ich allerdings erst im zweiten Anlauf erhalten“ ... berichtet Peter Eichstädt schmunzelnd „aber das war rückblickend auch ganz gut so!

Die Initialzündung für mein politisches Engagement habe ich übrigens durch die drohende Sondermülldeponie in Groß Weeden erhalten. Gemeinsam mit Bewohnerinnen und Bewohnern haben wir politisch etwas bewegen können.

Damals wie heute war und ist für mich der demokratische Grundsatz wesentlich und ich hoffe, dass die Menschen verstehen, welch große Errungenschaft unsere Demokratie ist. Begreifen, welche Chancen der Mitgestaltung wir im Vergleich mit anderen Ländern haben. Ein aktuelles Beispiel wäre für mich das politische Vorgehen bei den Auseinandersetzungen auf dem Tahrir-Platz in Istanbul. Es beeindruckt mich, welche Kraft von einer gelebten Demokratie ausgehen kann. Mittlerweile registriere ich zunehmend, dass viele Menschen unsere demokratischen Errungenschaften allerdings als zu selbstverständlich sehen.“

Und wie schätzen Sie das politische Engagement der nachfolgenden Generation, der Jugend ein?

„Für mich gibt es nicht ‚die Jugend‘ und insofern auch keine pauschale Antwort. Es gibt viele Jugendliche mit einem hohen politischen Interesse und Engagement. Bei den anderen müssen wir ansetzen und motivieren.“

Sie haben viele kleine und große politische Ämter. Sie sind Vorsitzender des Sozialausschusses, medienpolitischer Sprecher, beschäftigen sich intensiv mit Datenschutz, Sucht- und Drogenpolitik. Beim NDR sind Sie Vorsitzender des Landesrundfunkrates, Sie sind im Programmbeirat von ARTE und haben noch viele weitere Aufgaben und Themen. Das klingt nach einer großen Menge Energie und einer gut geplanten Balance zwischen Berufs-  und Privatleben …

„Energie brauche ich eigentlich nur für die Summe der Aufgaben. Jede für sich ist gut schaffbar. Und was die Balance angeht, so gibt es einen ‚öffentlichen‘ und einen ‚privaten´ Peter Eichstädt. Das halte ich gut auseinander, da hat die Familie ihren eigenen Platz. Und in der Abgrenzung bin ich inzwischen schon besser geworden ...“

Ich würde gern über das Thema Inklusion mit Ihnen sprechen. Aus unserer Sicht wird Inklusion derzeit stark auf das Thema Schulpolitik fokus- siert. Wie ist Ihre Erfahrung dazu? Was ist Ihr Verständnis von Inklusion?

 „Ich glaube, dass die aktuelle Diskussion das Thema Inklusion gut befördern kann. Die Fachleute der Sozialpolitik wissen sehr wohl, dass Inklusion nicht nur im Bereich der Bildungspolitik thematisiert werden muss. Für Eltern und Kindern gibt es im schulischen Bereich spürbare Veränderungen. Ich denke jedoch, dass es individuell zu steuernde Prozesse sind und die persönliche Situation berücksichtigt werden muss. Beim Umgang mit Menschen mit Behinderungen haben wir in Deutschland großen Nachholbedarf, beispielsweise im Vergleich zu skandinavischen Ländern. Das hat auch mit unserer Vergangenheit zu tun.

Glücklicherweise gab es da viel an Entwicklung – von der Fürsorge über Integration, Selbstbestimmung und Empowerment hin zu Inklusion.

Inklusion ist für mich allerdings ein schwieriger Begriff und ich wünschte, es gäbe einen anderen. Es bedeutet für mich, dass Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft so gefördert und akzeptiert werden, dass sie an ihrem jeweiligen Platz gleichberechtigt mit anderen leben können. Dies setzt natürlich individuelle Unterstützung und Hilfen voraus. In der Politik müssen wir darüber hinweg kommen, das Thema Behindertenhilfe nur unter finanziellen Aspekten zu sehen. Die Themen Finanzen und Inklusion müssen entkoppelt werden. Die Kostenfrage darf nicht der „Malefizstein“ sein, der als Verhinderer immer davor steht und den wir nicht mehr weg bekommen. Wenn wir diese Entkoppelung wagen, werden wir feststellen, dass es am Ende nicht mehr kosten wird.

Wenn ich den Gedanken der Inklusion in einem Bild ausdrücken sollte, dann erinnere ich mich gern an eine Multimediashow des Lebenshilfewerkes. Dort war eine Blumenwiese mit weißen Margeriten und einer bunten Blume zu sehen. Eine schöne, gelungene Metapher.“

Ich glaube, inzwischen dürfen wir Sie gerne als langjährigen Weggefährten des Lebenshilfewerks bezeichnen. Wo liegen die Berührungspunkte?

 „Ja, das stimmt. Ich habe gut 20 Jahre engen Kontakt zum Lebenshilfewerk. Sowohl als Kreis- als auch als Landespolitiker habe ich die Entwicklung der Einrichtungen regelmäßig und intensiv begleitet. Aus meiner Sicht sorgt das LHW dafür, dass Menschen mit Behinderung Gehör finden und ihre Rechte durchgesetzt werden. Das ist nicht nur über Gesetze zu regeln. Schon häufig habe ich beeindruckt wahrgenommen, welch ausgeprägt akzeptierende Haltung das LHW Menschen mit Behinderungen gegenüber hat. Dies ist beispielsweise durch die Einbindung des Werkstattrates bei Feierlichkeiten sichtbar. Hier erhalten sie eine Stimme. Natürlich haben sie selber eine Stimme, aber das LHW ist der Lautsprecher!“

Auf Ihrer Website finden wir ein Foto, dass Sie zusammen mit dem Koch Roy Petermann beim Kochduell auf dem ‚Markt der Begegnungen‘ beim Möllner Altstadtfest zeigt. Das freut uns natürlich sehr …

„Das war eine besonders schöne Veranstaltung, bei der Menschen mit und ohne Behinderung auf gleichberechtigter Ebene miteinander agiert haben. So etwas halte ich für den Mikrokosmos der Inklusion.“

Eine abschließende Frage, Herr Eichstädt: Was halten Sie von unserem neuen LHW-Claim ‚Wir machen Zukunft‘?

 „Passt. Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf eine eigene Zukunft. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein und erzeugt dadurch eine Reibung zwischen Betonung und Selbstverständlichkeit.

Das LHW gestaltet Zukunft und ist für mich eine Art Katalysator zur Beförderung von Prozessen. Ich bin gespannt, was sich in der Zukunft weiter entwickelt.“

Vielen Dank für das spannende Gespräch.

Anja Franksen

Lebenshilfewerk  Mölln-Hagenow

Das Interview erschien in Ausgabe 19 (2014) des "Isshoni Klecks". Das Interview steht auch hier zum Download.

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