28.06.2006

LANDTAGSREDE: Barrierefreiheit im Fernsehen, aber ohne Verkürzung der Informationen

Wir haben den Bericht erbeten, weil die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben sowie ihre Verbesserung ein stetiges Ziel unserer Politik ist.

Und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bedeutet natürlich auch Teilhabe an Information, Kultur, am medialen Leben. Wir haben deshalb wissen wollen, wie die Situation von Blinden und gehörbeeinträchtigten Menschen ist, wenn sie das Kulturgut Fernsehen nutzen wollen. Und wir wollten wissen, welche Möglichkeiten es in Schleswig-Holstein gibt, Barrieren abzubauen und damit Chancen zur Teilhabe zu verbessern.

Lassen sie mich zunächst einmal sagen – weil ich mich in der Vergangenheit ja durchaus auch kritisch mit medienpolitischen Äußerungen unserer Landesregierung auseinandergesetzt habe –: Ich finde, der vorliegende Bericht ist eine durchaus gelungene Darstellung der Situation blinder und gehörbeeinträchtigter Menschen vor dem Fernseher. Er zeigt auf, wo Barrieren Teilhabe verhindern, er zeigt aber auch auf, was an Abbau von Barrieren erreicht wurde und wo noch abgeräumt werden muss, wenn wir internationale Standards erreichen wollen. Sie haben dem Bericht entnommen, wie viel weiter andere Staaten sind.

Und der Bericht zeigt, dass man sich von Seiten der Staatskanzlei dafür einsetzen will, im Rahmen zugegeben beschränkter Möglichkeiten weiter an Abhilfe mitzuwirken. Natürlich ist dies in Schleswig-Holstein alleine nicht zu leisten. Das geht nur im nationalen und europäischen Kontext. Und ich will auch dazu sagen, dass ich Ihnen, Herr Ministerpräsident, in diesem Fall die ehrliche Absicht abnehme, sich persönlich mit Ihrem ganzen politischen Gewicht für eine weitere Verbesserung der Möglichkeiten der Teilhabe behinderter Menschen am medialen Leben einzusetzen. Dafür und für den Bericht bedanke ich mich bei Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Alle Bemühungen, behinderten Menschen die Teilhabe am Fernsehen zu ermöglichen, müssen sich messen lassen an Artikel 5 des Grundgesetzes. Der garantiert den Rundfunksendern die Rundfunkfreiheit und damit eine große Autonomie in der Gestaltung der Programme. Er verbietet die Einflussnahme auf die Programme durch staatliche Regelungen. Deshalb ist das, was in Amerika Realität ist, nämlich eine Verordnung von Barrieren abbauenden Hilfen als Teil des Programms, bei uns nicht so einfach zu erzwingen.

Ich will nicht verschweigen, dass es in den letzten Jahren durchaus Fortschritte gegeben hat. So ist die Zahl der Programmbeiträge, die mit Audiodeskription für blinde Menschen oder Untertitelung, seltener durch Gebärdendolmetscher begleitet sind, gestiegen. Auch ist festzustellen, dass offensichtlich das ZDF hier etwas mehr bietet als die ARD-Anstalten.

Der Bericht hat deutlich gemacht: Die Situation kann nicht als befriedigend eingestuft werden. In der Bundesrepublik leben 1,2 Mio hörgeschädigte Menschen und über 2 Mio. blinde oder stark sehbehinderte Menschen. Sie alle können wegen ihrer Sinnesbehinderung Fernsehsendungen nicht verfolgen. Ihnen entgehen damit wichtige, für uns nicht behinderte Menschen selbstverständliche Informationen, weil Fernsehbilder in Deutschland kaum untertitelt sind und noch seltener mit Audiodeskription ausgestrahlt werden.

Kolleginnen und Kollegen, machen Sie selbst die Probe: Ton aus beim Fernsehen oder Augen schließen. Was bleibt? Unvollständige Information, Vermutungen. So beeinträchtigt ist Teilhabe einer Gruppe von immerhin 3,2 Millionen Menschen; angesichts dieser Zahl fällt es schwer, sie als Minderheit zu bezeichnen.

Wir leben in einem revolutionären Medienzeitalter. Die Digitalisierung wird technische Möglichkeiten eröffnen, Barrieren abzubauen, von denen unsere blinden und hörgeschädigten Mitbürger heute nur träumen. Ich hoffe sehr, dass diese Möglichkeiten auch genutzt werden. Der Artikel 5 darf nicht missbraucht werden, technische Möglichkeiten zur Teilhabe ungenutzt zu lassen.

Die Verpflichtung des Staates, die Voraussetzungen für eine Grundversorgung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu schaffen, ist ebenfalls im Artikel 5 enthalten. Und das umfasst das auch die Barrierefreiheit, weil Barrieren eine Diskriminierung bedeuten.

Ich will zum Schluss aber noch auf einen speziellen Aspekt hinweisen: Betroffene – vor allem die nach dem Spracherwerb ertaubten Menschen kritisieren die verkürzte und vereinfachte Untertitelung, die ihrem Wunsch nach einer vollständigen, nicht verkürzten und damit inhaltlich nicht manipulierten Wiedergabe nicht gerecht wird. Die Neigung, z.B. Schimpfwörter wegzulassen oder inhaltlich vereinfacht zu untertiteln, wird von ihnen als Zensur empfunden. Ich erwähne dies, um deutlich zu machen, dass es bei diesen Mitteln nicht nur darum geht, sie anzubieten, sondern dass sie sich auch einem Diskurs um Qualität, Standards und Zensurferne stellen müssen.

Der Bericht ist es wert, weiter im Ausschuss – ich schlage den Sozialausschuss vor vertieft behandelt zu werden.

Ich hoffe, dass die Landesregierung und der Ministerpräsident sich in der Zukunft weiter für den Abbau von Barrieren beim Fernsehen einsetzen. Der NDR ist offensichtlich bemüht, die Situation zu verbessern und die Zahl der barrierefreien Beiträge zu erhöhen. Da ist die im Bericht enthaltene Zusage des Landesrundfunkrates des NDR und des Vorsitzenden des NDR-Rundfunkrates ein Silberstreif, den wir aufmerksam beobachten werden. Die Zahl der barrierefreien Sendeminuten kann man ja messen.

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