14.12.2012

LANDTAGSREDE: Funktionsfähigkeit des Parlaments nicht in Frage stellen

TOP 11, Abschaffung der Fünf-Prozent-Sperrklausel bei Landtagswahlen (Drucksache 18/385)

Wahlrecht ist in allen Ländern, im Bund, in Europa, in den Kommunen, immer wieder Gegenstand von Diskussionen und verfassungsgerichtlichen Überprüfungen. Die Ausgestaltung von Wahlrecht kann über die Zusammensetzung von Parlamenten und Regierungen entscheiden. Oft geht es dabei um das möglichst gleiche Gewicht jeder einzelnen abgegebenen Stimme, das aber kaum vollumfänglich herzustellen ist.

Wie schwierig es ist, zwischen den verschiedenen Anforderungen und Erwartungen einen Ausgleich herbeizuführen, haben wir in Schleswig-Holstein das letzte Mal durch die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts erfahren, welche dann zur Änderung  unseres Wahlgesetzes und zu den Neuwahlen im Jahr 2012 geführt hat. Und auch damals waren es nicht einfach einzelne Bestimmungen, sondern das Zusammenwirken verschiedener Bestimmungen in Wahlgesetz und Verfassung, die zu Beanstandungen führten.

Wir haben heute den Gesetzentwurf der Piraten zu beraten, der unser Landeswahlgesetz dahingehend ändern möchte, dass die „Fünf-Prozent-Sperrklausel“ abgeschafft wird. Damit wollen die Piraten im Kern verhindern, dass Wählerstimmen, die auf kleinere Parteien entfallen und nicht die Fünf-Prozent-Hürde überspringen, in Zukunft nicht mehr wertlos verfallen.

Ausgangspunkt ist der verfassungsrechtliche Grundsatz der Wahlgleichheit. Der bedeutet bei der Verhältniswahl, dass jede von einem Wähler oder einer Wählerin abgegebene Stimme das gleiche Gewicht bei der Zusammensetzung des Parlaments haben soll. Das ist ein Grundsatz, der durch eine Sperrklausel, aber auch durch andere Bestimmungen des Wahlgesetzes auf unterschiedlichste Art und Weise verfehlt wird. So waren z.B. bei der letzten Landtagswahl für die Erlangung eines Mandates über die Zweitstimme bei den Bündnis90/Die Grünen 17.475 Stimmen erforderlich, beim SSW hingegen 20.341 Stimmen notwendig.

Und aufgrund unterschiedlicher Abweichungen von der Durchschnittsgröße der Wahlkreise kann in dem einen Wahlkreis mit deutlich weniger Stimmen ein Abgeordneter direkt gewählt werden, als das in einem anderen, kleineren Wahlkreis der Fall ist.

Auch das Zwei-Stimmen-Wahlrecht an sich führt zu einer unterschiedlichen Gewichtung einzelner Stimmen.

Es ist unstrittig, dass die Fünf-Prozent-Klausel zu einem unterschiedlichen Erfolgswert der abgegebenen Stimmen führt. Entscheidend ist aber die Abwägung der Folgen, die sich ergeben, wenn man auf die Sperrklausel verzichtet. Die Fünf-Prozent-Klausel in Schleswig-Holstein wie in vielen anderen Ländern und im Bund ist damit begründet, dass sie für die Funktionsfähigkeit der Parlamente erforderlich ist. Dies gilt im Besonderen für die Wahlen zu Parlamenten, die Regierungen wählen und Gesetze erlassen. Eben deshalb kann auch nicht aus der durch das Verfassungsgericht festgestellten Unzulässigkeit von Sperrklauseln bei Kommunalwahlen oder den Wahlen zum Europaparlament geschlossen werden, dass eine solche auch für unser  Landesparlament unzulässig ist – ganz im Gegenteil.

Es ist vielmehr ist die Aufgabe des Gesetzgebers, einen Ausgleich zwischen

  • dem Gebot der Wahlgleichheit,
  • der Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Parlaments und
  • der Transparenz und Klarheit Wahlvorganges

zu finden. Die gängige Rechtssprechung stützt diese Motive.

Der bestimmende Grund für die Sperrklausel ist die angestrebte Sicherung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Parlaments. Es soll dadurch verhindert werden, dass es zu einer Aufspaltung der Volksvertretung in viele kleine Gruppen kommt, die dann die Bildung stabiler Mehrheiten erschweren und die Regierungsfähigkeit eines Landes in Frage stellen.

Entscheidend ist, dass die Vereinbarkeit einer Sperrklausel mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl nicht ein für alle Mal abstrakt beurteilt werden kann. Deshalb soll der Wahlgesetzgeber immer dann, wenn er besondere Umstände vorfindet, diesen Rechnung tragen. Er kann dabei eine Sperrklausel einführen, auf sie verzichten, ihre Höhe herabsetzen oder andere geeigneten Maßnahmen ergreifen.

Nach unserer Auffassung ist die Fünf-Prozent-Sperrklausel in Schleswig-Holstein nicht zu beanstanden und erfüllt ihren wichtigen Zweck als Instrument zur Herstellung eines arbeits- und entscheidungsfähigen Parlaments.

Mit all diesen Fragen wird sich angesichts des Gesetzentwurfs der Piraten der Ausschuss beschäftigen und er wird dies möglicherweise länger tun, als das Landesverfassungsgericht braucht, um über anstehende Wahlprüfungsverfahren zu entscheiden.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit; die Beratungen im Fachausschuss werden interessant.

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