16.09.2015

Im Landtag: Die größeren Sorgen der Redaktionen

Rede zu TOP 4, Gesetzentwurf zur Stärkung der inneren Pressefreiheit (Drs. 18/3162)

Der Antragsteller hat schon darauf hingewiesen, dass wir bereits 2006 eine Debatte zu diesem Thema geführt haben. Und anscheinend ist den Piraten entgangen, dass in neun Jahren sich die Presselandschaft in Deutschland und in Schleswig-Holstein in ihrer Gesamtproblematik dramatisch verändert hat.

Um klarzustellen: Ich freue mich über jeden Verlag, der ein Redaktionsstatut vereinbart und damit den Rahmen für eine unabhängige Arbeit seiner Journalisten setzt. Genauer zu betrachten ist, ob eine Verpflichtung überhaupt möglich ist. Stichworte sind das Betriebsverfassungsgesetz und das Recht auf unternehmerische Freiheit.

Insgesamt scheint es mir, dass die Piraten bei der Beschäftigung mit der Medienpolitik den Sprung in das neue Jahrtausend noch nicht vollzogen haben. Denn inzwischen haben die Verlage und Redaktionen ganz andere Sorgen. Und die Unabhängigkeit und Vielfalt ist durch andere Entwicklungen deutlich mehr bedroht als durch das Fehlen von Redaktionsstatuten.

Ich will kurz auf einige drängende Probleme im Besonderen im Bereich der Printmedien eingehen. Der Zeitungsmarkt war 2014 davon geprägt, dass 60 Prozent aller Zeitungsexemplare aus nur zehn führenden Verlagsgruppen in der Bundesrepublik kommen. 43 Prozent der Tagespresse kommen aus den fünf auflagenstärksten Verlagsgruppen, bei den Kaufzeitungen sogar 97 %. Wir haben also eine fortschreitende horizontale Konzentration im deutschen Zeitungsmarkt. Parallel dazu gehen die Auflagen und der Werbeumsatz aller Zeitungen zurück.

Die Gesamteinschätzung unter dem Gesichtspunkt der Vielfalt ist schwierig, weil zwar die Auflagen sinken, aber die Zeitungen deshalb nicht unbedingt vom Markt verschwinden. Klar ist aber, die Werbeeinnahmen haben sich halbiert, und dies hat Folgen. Die Einnahmekrise verstärkt Einsparbemühungen und diese gefährden die redaktionelle Qualität der Zeitungen. Sie führen zum massiven Abbau von Redakteur-Stellen. Die meisten Stellen sind in Lokalredaktionen gestrichen worden, oder, was noch folgenschwerer ist: Lokalredaktionen wurden komplett geschlossen.

Verlagsgruppen legen die Mantelredaktionen für mehrere Zeitungen zusammen und lassen für zum Teil Dutzende von Zeitungen Beiträge produzieren. Dies führt auch in Schleswig-Holstein zu einem gravierenden Verlust an redaktioneller Informationsvielfalt, auch in den noch bestehenden Lokalredaktionen. Journalisten, die bisher an einzelne Zeitungen gebunden waren, schreiben z.B. durch die Klammer der Madsack-Gruppe jetzt auch regelmäßig in anderen Zeitungen – keine Stärkung der Meinungsvielfalt.

Hier setzt, im Gegensatz zu der Schwerpunktsetzung in Ihrem Gesetzentwurf, meine Besorgnis ein: Was nützt mir ein Redaktionsstatut, wenn es keine Redaktion mehr gibt bzw. die Redaktionen ganz andere Sorgen haben als ein Redaktionsstatut.

Heute ist eine Zeitung für viele Verleger ein Wirtschaftsprodukt. Journalistischer Anspruch wird immer seltener. Das gilt nicht für alle, gerade im überregionalen Bereich können wir froh sein, dass es große Zeitungen wie den Spiegel, die Süddeutsche, die Frankfurter Allgemeine oder die taz gibt, die diese Aufgabe noch wahrnehmen. Allerdings sind auch sie finanziell nicht auf Rosen gebettet.

Ich persönlich halte im Übrigen den Einfluss der in Zeitungen werbenden Unternehmen für weitaus problematischer. Die Media-Agenturen sind – hier nur das Stichwort – im Übrigen ein eigenes, besorgniserregendes Thema.

Können im Presserecht verankerte Redaktionsstatute gleichzeitig Garanten für eine qualitativ gute und unabhängige Berichterstattung sein? Ich meine: Nein, Unabhängigkeit führt nicht automatisch zu journalistischer Qualität.

Oft scheint es, dass, ohne dass irgendein Chefredakteur darauf Einfluss nimmt, unter Missachtung journalistischer Grundregeln wenig Seriöses im Blatt landen kann. Schon deshalb würde ich mir manchmal mehr engagierte Herausgeber wünschen, die Wert auf Qualität legen und in diesem Sinne Einfluss nehmen.

In Schleswig-Holstein gibt es nach Einsteigen der Madsack-Gruppe und dem Rückzug des bisherig Garanten für leidliche Unabhängigkeit der Lübecker Nachrichten, der Erbengemeinschaft Heinrich und der Semmerow-Stiftung und mit dem Verkauf des Hamburger Abendblattes an die Funcke-Mediengruppe und dem SHZ im Wesentlichen noch drei große Verlagshäuser. Die haben sich den Markt nach Regionen aufgeteilt. Und allein das Konzept Madsack 2018 und der damit verbundene Umbau und Stellenabbau führt in den Redaktionen zu deutlich mehr Sorgen als ein fehlendes Redaktionsstatut.

Zusammengefasst: Redaktionsstatuten sind wünschenswert, aber wahrlich nicht das zentrale Problem der Zukunft eines unabhängigen Journalismus und der Medienvielfalt in Deutschland und Schleswig-Holstein.

Dieser Gesetzentwurf ist nicht so richtig falsch, aber er hat wenig zu tun mit der Wirklichkeit in den Redaktionen. Eher ist er geeignet, über die tatsächlichen Probleme hinweg zu täuschen.

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